… und niemand im Dorfe hat etwas gesehen

(Das folgende Gedicht war mein Beitrag im Halbfinale 3 des Bayernslam 2019 in Erlangen. Aufgrund mehrfacher Nachfragen und aktueller Lage veröffentliche ich ihn hier. Eine größtmögliche Verbreitung wäre wohl in unser aller Sinne.)

… und niemand im Dorfe hat etwas gesehen

Das Dorf liegt am Waldrand und alles ist still.
Ein Wolf streunt durch´s Unterholz, weil er es will.
Er schlägt einen Hasen, um den ist´s geschehen
und niemand im Dorfe hat etwas gesehen.

Kaum sehr lange später, der Müller sich reckt.
Ein Sonnenstrahl durchs Fenster, der hat ihn geweckt.
Der Tag beginnt müde, das Aufstehen fällt schwer,
für ihn steht es fest: „Jo! Ein Kaffee muss her.“
So torkelt er schlaftrunken durch sein Quartier,
füllt den Kochtopf mit Wasser, holt Filterpapier,
dann löffelt er Kaffee in den Filter zu Hauf,
und als letztes kommt kochendes Wasser darauf.

Als das Wasser so langsam im Filter versickert,
denkt der Müller bei sich, dass er schon ziemlich Glück hat.
Seiner Mühle geht´s prächtig, er hat sehr viel zu tun,
manchmal bleibt ihm sogar nur der Sonntag zum Ruh´n.
Etwas Hilfe, da die käme ihm gerade sehr Recht,
grad beim Schleppen der Mehlsäcke wär das nicht schlecht,
doch es findet sich niemand im Dorfe zur Zeit,
der für derartige Arbeit gewillt und bereit.

So schuftet er weiter, tagein und tagaus,
bringt Getreide zur Mühle und Mehlsäcke raus.
Fährt sie rüber zum Bäcker, der Brotteig daraus knetet
und das Brot an den Pfarrer verkauft, der stets betet,
dass die Idylle des Dorfes gar ewiglich fährt
und niemand den Frieden des Lebens hier stört.

Das Dorf liegt in Ruhe, und alles ist still.
Der Wolf streunt durchs Unterholz, weil er es will.
Er reißt sich ein Rehkitz, um das ist´s geschehen
und niemand im Dorfe hat etwas gesehen.

Auch im Dorf fängt der Tag an, das Leben kehrt ein.
Ein Hahn kräht zum Morgen, ein Kind hört man schreien.
Es öffnen sich Türen, heraus treten Leute,
man grüßt sich, ist höflich, so macht man das heute.
Man lebt hier schon lange, man weiß wer wo wohnt.
Hat manch freundliche Nachbarschaftshilfe belohnt
mit ´nem Grillfest, wo´s Dorf und der Waldrand sich küssen.
Wer Gemeinschaft so kennt, will sie nie wieder missen.

So auch heute und zum Feste erscheinen der Bäcker,
der Gastwirt, der Metzger und auch der Dachdecker.
Die Schreinergesellen, die sonst Möbel herstellen,
sieht man eiligen Schrittes sich am Bierstand anstellen,
wo die Tochter des Schankwirts die Humpen mit Bier füllt,
dass es durstigen Männer, die Alkoholgier stillt,
als der Müller ganz plötzlich ein wenig erschrickt,
weil den Wolf er im Dickicht am Waldrand erblickt.

Einen Augenblick lang, sehen beide sich an,
Aug in Aug, augenblicklich wird dem Müller ganz bang,
denn die Augen des Raubtiers sind eisig und kalt,
da verschwindet der Wolf in den Tiefen des Walds.
Das Gefühl jedoch, das er im Müller erweckt,
bleibt bei diesem noch einige Stunden zurück.

Die Dörfler sie feiern, mit Tanz und Gesang.
Der Wolf schleicht ums Dorf, denn die Gier treibt ihn an.
Er reißt Schäfers Schafe, um die ist´s geschehen
und niemand im Dorfe hat etwas gesehen.

Zum Fest kommt ein Fremder, den niemand hier kennt,
die Schuhe zerlumpt, ziemlich dreckig das Hemd.
»Guten Tag, werte Leute« so hört man ihn sagen,
»aus dem Nachbardorf komm ich und wollte mal fragen,
ob ihr Obdach und Arbeit habt, für einen Fremden.
Bin nicht dumm, bin nicht schwach, ob mit Kopf oder Händen,
ich kann vielfältig nützlich sein, brauche nicht viel.
Gut und friedlich zu leben, das ist hier mein Ziel!«

Man guckt und beäugt. Von Fremden hört man ja oft.
Und ganz ehrlich, man hatte stets heimlich gehofft,
dass es noch lange dauert, bis man hier einen sieht,
denn der Wirt hat gehört, was dann alles so blüht:
»Ich kenn wen« flüstert er »der wen kennt, der wen kennt,
der gehört hat, dass Fremde meist ansteckend sind!«
»Warum kommt der zu uns?« »Und was führt er im Schild?«
Mangels Offenheit zeichnet die Skepsis das Bild.

Nur einer der Dörfler, der lächelt und nickt.
»Mein Freund, dich hat mir der Himmel geschickt.
In der Mühle gibt´s Arbeit, fang morgen gleich an!
Komm setz dich zu mir und erzähle mir lang
und auch breit, wie Du heißt und ein wenig von Dir
als Dein Lohn fürs Erzählen, spendier ich ein Bier!«

Das Dorf feiert weiter, dann geht man nach Haus.
Die Nacht zieht herein und die Lichter gehen aus.
Den Wächter, der begann seine Runde zu drehen,
fällt der Wolf an, doch niemand hat etwas gesehen.

Seit knapp einem Monat, lebt der Fremde beim Müller,
den die Dörfler jetzt meiden. Tritt er ein, wird es stiller.
Es verstummen Gespräche, die grad lautstark geführt,
alles blickt still zu Boden, wirkt peinlich berührt,
denn der Pfarrer, der hörte, also ist es wohl wahr,
dass der Fremde und der Müller seit kurzem ein Paar.
Sie frönten in der Mühle der sündigen Lust
und der Wirt sagt »Ich habe es schon immer gewusst!«

Auch Pech bringt der Fremde, das ist allen klar.
Letzten Monat war´s Leben noch ganz wunderbar,
doch seit er hier erschien, ist so manches passiert,
was manch einen im Dorfe doch ziemlich schockiert:
Der Schäfer sagt wütend »All meine Schafe sind tot,
mit der Ankunft des Fremden, da kam auch die Not!«
Der Jäger klagt laut, dass kein Wild mehr im Wald,
auch Schicksal des Wächters lässt niemanden kalt.

Nur der Müller versteht´s nicht. »Freunde, was soll dieser Mist?
Ihr erkennt doch wie ich, was hier Ursache ist.
Nicht der Fremde ist schuld, nein vom Wolf droht Gefahr
und wir müssen uns wehren, er ist schon längst da!«
Er findet zwar Worte, doch bei keinem Gehör,
denn Vernunft hat es gegen die Angst meistens schwer.

Im Dorf kippt die Stimmung und nichts mehr ist still.
Der Wolf lächelt böse, es kam wie er´s will.
Er tötet die Hunde, um die ist´s geschehen
und niemand im Dorfe hat etwas gesehen.

Denn es ziehen mit Mistgabeln und Fackeln in Flammen,
die Dörfler zur Mühle, den Fremden zu fangen.
Der Müller versucht seinen Freund noch zu schützen,
kämpft mit Worten und Fäusten, doch es will ihm nichts nützen.
Die Söhne des Schusters, die zerren und ziehen
und schleifen den Fremden zum Marktplatz auf Knien,
wo diesem beim Anblick dessen was da steht graut,
den der Tischer, hat einen Galgen gebaut.

»Ich bitte euch um Gnade, war niemals ein Feind,
wollte Teil eures Dorfs sein, ein Nachbar, ein Freund!«
fleht der Fremde, doch der Schmied schlägt ihn hart in die Rippen
und mit dem Schlag verstummt auch das Flehen und Bitten.
Man legt ihn in Ketten, an Füßen und Händen,
zieht einen Sack übern Kopf und dann hängt man den Fremden.
»Als Warnung für andere, die auch hierher kommen!«
predigt der Pfarrer am Sonntag, zu den Braven und Frommen.

Der Wolf zieht den Kreis eng, kommt näher und näher.
Im Dorf kümmert´s keinen, man braucht keine Späher.
»Ach der Wolf, ja der Wolf, nein, den gibt es hier nicht
dass der Wolf uns bedroht, das sind alles Gerüchte.«
Man verkennt, ignoriert, alle Opfer des Tiers,
Isegrimm reißt derweil Bauers prächtigsten Stier.

Im Dorf herrscht jetzt Stille, die Straßen sind rot.
Der Wolf fraß die Bürger und alle sind tot.
Wer sich fragt »Warum ließen sie´s einfach geschehen?«
dem sei gesagt »Sie wollten die Wahrheit nicht sehen.«.

Wenn´s in Kürze zur Wahl geht, wählt mit Sinn und Verstand,
denn das Schicksal des Dorfs, liegt in euer Hand.
Schwächt den Wolf, jagt ihn fort oder lasst ihn erstarken,
doch vergesst dabei nie…

… manche Kreuze haben Haken.